An einem der ruhigen Nachmittage zwischen Weihnachten und Silvester treffe ich den Vorsitzenden der SPD-Fraktion Steglitz-Zehlendorf in der Küche seines Hauses in Heckeshorn. Der Corona-Advent 2020 hielt auch für Norbert Buchta zahlreiche berufliche und private Herausforderungen bereit, daher kommt er erst heute dazu, endlich ein paar leckere Kekse für die Familie zu backen – Zeit für einen persönlichen Rückblick am Ofen.
Norbert Buchta stellt sich fortan in einer Artikelserie den Fragen der Bürgerinnen und Bürger, die ihn regelmäßig per Telefon, Brief, E-Mail oder in den sozialen Medien erreichen – im persönlichen Gespräch gestellt und aufgezeichnet von Roman Gerhardt. Haben Sie auch eine Frage an Norbert Buchta? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!
Corona hat uns weiterhin fest im Griff – die versprochenen Lockerungen für Heiligabend und den Jahreswechsel sind ausgefallen, stattdessen wurden die Beschränkungen sogar noch einmal verschärft. Wie haben Sie Weihnachten verbracht?
Am Nachmittag waren wir im Weihnachtsgottesdienst: „Open air“, mit Abstand und Masken, das wurde von der Kirchengemeinde wirklich gut gelöst! Anschließend gab es zu Hause das Weihnachtsessen mit Gans, Rotkohl und Klößen, ganz traditionell – und natürlich die Geschenke. Was anders war: Schon seit vielen Jahren feiern wir gemeinsam mit einer anderen Familie, deren Kinder im gleichen Alter sind wie meine. Darauf mussten wir in diesem Jahr natürlich verzichten.
Die Weihnachtsfeiertage verbringen wir normalerweise im Familienverband mit meinen Eltern, meinen Brüdern und deren Familien: Insgesamt 18 Personen! Diesmal konnten wir uns nur per Video-Telefonie sehen, das war schon schmerzhaft, vor allem für die Kinder. Für meine Eltern hatte ich vorher am Computer alles eingerichtet und mit ihnen geübt, daher hat das gut geklappt.
Natürlich ist das eine gewaltige Umstellung. Trotzdem möchte ich an alle Berlinerinnen und Berliner apellieren: Bitte nehmen Sie das ernst und unterlassen sie alle unnötigen Wege außerhalb der Wohnung. Versuchen Sie, die Zeit mit ihrer Familie zu Hause zu genießen! Die Angst, nahe Verwandte oder Freunde an das Virus zu verlieren, habe ich auch an den Feiertagen nie ganz aus dem Kopf bekommen – so geht es derzeit wahrscheinlich den meisten.
Wie hat sich Ihr Familienleben durch die Pandemie verändert?
Meinen Kindern fehlt vor allem der Austausch unter Gleichaltrigen, der sportliche Wettkampf im Verein, das befreite Spielen ohne Maske, aber auch Schulausflüge und Klassenfahrten.
Das „homeschooling“ – also der Unterricht auf Distanz – ist nicht nur für die Kinder eine echte Herausforderung, sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer. Da merkt man sehr schnell, wie groß die technischen Defizite in unserem Bildungssystem noch sind, das ruckelt noch sehr. Aber auch von uns als Eltern wird eine ganze Menge Organisationstalent gefordert, um „homeoffice“ und „homeschooling“ einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Studien aus Österreich zeigen aber, dass die Schulen sehr wohl erhebliche Pandemietreiber sind, von daher müssen wir uns wohl damit abfinden, dass der Unterricht noch sehr lange ganz oder zumindest teilweise zu Hause stattfinden wird.
Vielfach helfen meine Kinder mir aber auch, die ganze Situation etwas entspannter zu sehen: Als zum Beispiel unser Herbsturlaub ins Wasser gefallen ist – Berlin wurde am Tag unserer Abreise zum Risikogebiet erklärt, Baden-Württemberg hat ein Beherbergungsverbot ausgesprochen – meinte mein Sohn nur: „Papa, lass uns chillen!“ Der erhoffte Tapetenwechsel blieb aus, stattdessen haben wir Urlaub in Berlin gemacht.
Tatsächlich war es in diesem Jahr auch schön, so viel Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern gemeinsam zu verbringen. Meine Frau und ich sind beide voll berufstätig, die Kinder haben normalerweise zahlreiche Freizeittermine. Durch Corona sind wir näher zusammengerückt: Arbeits- und Schulleben unter einem Dach. Mittlerweile kann ich sogar wieder Pi berechnen und die Photosynthese beschreiben!
Was bedeutet das Abstandsgebot für Ihre Arbeit als Fraktionsvorsitzender?
Mir fehlt vor allem die Arbeit vor Ort: Die Versammlungen und Diskussionen in der Partei, die Fraktionssitzungen, bei denen man gemeinsam in der Runde sitzt und aktuelle Entwicklungen und Ideen diskutiert. Vor allem aber die persönlichen Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern, in der wöchentlichen Sprechstunde oder am Stand der Fraktion auf Märkten und bei Festen.
Diese schleichende Entfremdung macht mir wirklich große Sorgen: Derzeit bestimmen vor allem die Medien – Zeitung, Fernsehen, aber auch die Sozialen Medien – das Bild der Pandemie und seine Deutung. Aber was denkt der Mensch auf der Straße in meinem Kiez? Das bekomme ich doch gar nicht mehr mit.
Es hat sich da so eine soziale Distanz entwickelt. Es macht eben doch einen großen Unterschied, ob man sich direkt gegenübersitzt, die Stimmungen und Gefühle seines Gesprächspartners direkt mitbekommt, oder alles nur am Bildschirm hat: Dauerhaft funktioniert das nicht. Für mich selbst muss ich sagen, ich bin regelrecht „Video-müde“. Mittlerweile nutze ich wieder viel mehr mein Festnetz-Telefon – allerdings auch mangels eines guten Mobilfunk-Empfangs hier in Heckeshorn.
Das ist ein gutes Stichwort: Wie steht es mit der Digitalisierung in Steglitz-Zehlendorf?
Ich denke, da können und dürfen wir nicht zufrieden sein. Gerade zu Beginn der Pandemie waren wir erschreckend unvorbereitet – und man muss ja eingestehen, dass Corona nicht von heute auf morgen bei uns aufgetaucht ist, sondern bereits seit Ende 2019 bekannt war, dass sich da etwas zusammenbraut. Trotzdem dauerte es bis zum Spätsommer 2020, bis das Gesundheitsamt endlich mit einer effektiven Software für die Kontaktnachverfolgung ausgerüstet wurde. Auch die Telefonanlage im Bezirksamt stammt noch aus der vor-digitalen Ära und hält heutigen Anforderungen nicht stand.
Auch unsere Arbeit in der Bezirksverordnetenversammlung musste 2020 viel zu oft ausfallen oder vertagt werden, weil alles noch genauso läuft wie im letzten Jahrhundert. Schon seit Beginn der Pandemie setzen wir uns zum Beispiel für ein Live-Streaming ein. Sechs Berliner Bezirke haben das bereits geschafft – vor allem von den Kolleginnen und Kollegen der CDU, aber auch von den Grünen hören wir dagegen die abenteuerlichsten Begründungen, warum das in Steglitz-Zehlendorf nicht möglich sein soll. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Dennoch: Wenn die Pandemie vielleicht am Ende doch irgendetwas Gutes hinterlassen sollte, dann sicher in genau diesem Bereich. Ich hoffe auf einen zügigen Ausbau der Digitalisierung in der Verwaltung, den Schulen, der Politik. Es sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass wir hier große Defizite haben.
Für einige Monate hat die BVV Steglitz-Zehlendorf doch ganz passabel in einer Kirche getagt – wozu dann Streaming?
Zunächst einmal möchte ich mich wirklich herzlich beim Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf bedanken, dass wir als BVV in der Pauluskirche tagen durften. Trotz recht frostiger Temperaturen konnten die Sitzungen im Oktober und November wieder dort durchgeführt werden, und auch im neuen Jahr werden wir voraussichtlich wieder in der Kirche zusammenkommen.
Bei unserer Forderung geht es vor allem um die Teilhabe der Öffentlichkeit, also der Bürgerinnen und Bürger sowie der Pressevertreter. Die Sitzungen sind aus gutem Grund öffentlich, und ich finde es unverantwortlich, dass wir von Interessierten verlangen, dafür ihre Gesundheit zu riskieren.
Dazu kommt, dass wir – auch in der Kirche – nur Platz für die Hälfte der Verordneten haben, sonst bekommen wir das mit den Abständen auch dort nicht hin. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass jeder Bezirksverordnete ein demokratisches Mandat besitzt, das nicht einfach so delegiert werden kann, schon gar nicht über einen längeren Zeitraum.
Der Berliner Senat hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, das es ermöglicht, Sitzungen in außergewöhnlichen Notlagen – wie zum Beispiel einer Pandemie – auch als „Bild- und Tonübertragung“ durchzuführen. Rechtlich wäre das jetzt also problemlos möglich. Stattdessen musste in Steglitz-Zehlendorf die Dezember-BVV wieder komplett abgesagt werden. Wie es im Januar aussehen wird müssen wir abwarten. In jedem Fall bedeuten die regelmäßigen Absagen und Verkürzungen der Tagesordnungen auch in den Ausschüssen eine erhebliche Einschränkung für die Arbeit der Bezirksverwaltungen, das halte ich für falsch – und vermeidbar!
Warum wurde die BVV denn dann überhaupt abgesagt?
Es gab leider einen Corona-Fall unter den Verordneten einer anderen Fraktion. Ich war gemeinsam mit dem Betroffenen eine Woche zuvor noch in einer gemeinsamen Sitzung des Ältestenrats gewesen – zusammen mit Vertretern aller anderen Fraktionen.
Diese BVV hätte leicht zum „Superspreader-Event“ werden können und wurde daher kurzfristig abgesagt. Mehrere Bezirksverordnete mussten in Quarantäne oder waren als „Kontaktpersonen zweiten Grades“ zumindest dazu angehalten, ihre Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren. Ich gehörte zur zweiten Gruppe.
Wie haben Sie davon erfahren?
Ich habe die Corona-Warn-App auf dem Smartphone installiert. Am Abend vor der BVV-Sitzung sprang die App auf Rot. Es wird dort ja auch der Zeitpunkt des Kontakts angezeigt – da der Ältestenrat an diesem Tag mein einziger Außentermin war, war sofort klar, dass einer der anderen Teilnehmer positiv getestet worden sein muss. Ich habe dann gleich das Gesundheitsamt informiert und alle meine Termine abgesagt.
Ich finde die App in diesem Fall wirklich sehr sinnvoll, vorausgesetzt natürlich, dass der Infizierte tatsächlich sein Testergebnis in die App einträgt.
So ganz überzeugt klang das jetzt nicht.
Ich will ehrlich sein: Ich könnte bei der App auch mit etwas weniger Datenschutz leben, also dass zum Beispiel positive Testergebnisse zentral eingetragen und so Warnmeldungen zuverlässiger ausgegeben werden können. Wenn ich mir überlege, was viele andere Apps über ihre Nutzer sammeln und auf Servern irgendwo auf der Welt speichern, ohne dass wir uns darüber groß Gedanken machen – da könnte ich mir schon vorstellen, die Grenzen hier nicht ganz so eng zu ziehen und eine automatische Übermittlung zuzulassen. Alle Bewegungsdaten müssen natürlich weiterhin ausschließlich lokal auf dem Telefon verbleiben, das ist klar!
Auf dem Weg hierher bin ich an der Station der Kältehilfe in der Bergstraße vorbeigekommen. Ist das nicht ganz schön weit draußen?
Da sprechen Sie genau den wunden Punkt an. Wir haben mehr als sechs Jahre lang dafür gekämpft, dass es endlich eine Anlaufstelle für Obdachlose im Bezirk gibt – aber natürlich hatten wir dabei eher an eine Lage in Steglitz oder nahe dem Zehlendorfer Zentrum gedacht.
Im vergangenen Jahr wurde endlich die Unterkunft in Wannsee eingerichtet. Dieses Jahr musste die Belegung wegen Corona bereits wieder halbiert werden. Natürlich ist es wunderbar, dass es diese Unterkunft jetzt gibt, aber bei dieser einen Stelle darf es nicht bleiben!
Mich beschäftigt die mangelnde Sensibilität des Sozialstadtrates und der Mehrheit der Bezirksverordneten zum Thema Kältehilfe wirklich sehr. In der Diskussion hieß es nur, dass die Einrichtung in Wannsee sich bewähren müsse. Aber wer fährt extra nach Wannsee in eine Obdachloseneinrichtung? Ich habe da einfach die Befürchtung, dass es der schwarz-grünen Zählgemeinschaft darum geht zu sagen: „Wir haben es versucht, aber die Unterkunft wird kaum genutzt, also brauchen wir wohl auch keine.“
Im kommenden Jahr werden die Karten neu gemischt.
Das stimmt! Ich würde sehr gerne beweisen, dass wir es besser können. Nach 15 Jahren Schwarz-Grün ergeht sich die Zählgemeinschaft in Ideenlosigkeit und Selbstzufriedenheit.
Ich freue mich sehr, dass mich meine Abteilung einstimmig für die BVV-Liste für die Wahl im kommenden Jahr nominiert hat, zudem für den Fraktionsvorsitz und für das Bezirksamt.
Sie werden also Stadtrat?
Eine Kandidatur für den Posten eines Stadtrats werde ich prüfen, falls die SPD nach der Wahl einen zweiten Posten zugesprochen bekommt. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf, gemeinsam mit Carolina Böhm in den Wahlkampf zu ziehen – als Gesundheitsstadträtin leistet sie großartige Arbeit, nicht nur bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Sie hat absolut das Format zur Spitzenkandidatin!
Was bleibt für Sie rückblickend von 2020?
Ein schweres Jahr geht zu Ende. Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen, uns alle nachhaltig verändert. Die privaten sozialen Kontakte fehlen mir, das Bier mit Freunden, die ausgelassene Feier – vor allem aber die Umarmung, egal ob zur Begrüßung, als Trost oder Zeichen der Freude.
Ich habe sowohl im familiären wie auch im beruflichen Umfeld sehr viel mit Corona zu tun. Die Pandemie, die Erkrankungen, das Risiko – das ist alles real. Für all die selbsternannten Querdenker und Verschwörungstheoretiker habe ich kein Verständnis, dafür habe ich nur ein Kopfschütteln übrig.
Auf der anderen Seite ist das Thema Gesundheit stark in den Fokus gerückt, das finde ich gut. Hier muss viel getan werden, das war auch schon vor Corona klar, nur hat man es eben jahrelang ignoriert. Das geht jetzt nicht mehr.
Wir müssen die Gesundheitsämter finanziell und personell besser ausstatten, das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Heimen aufstocken und besser bezahlen – nur klatschen hilft nicht! Das Thema Gesundheit ist auch persönlich für mich der wichtigste Wunsch für 2021. Meine Familie braucht hier gerade viel Kraft und Hoffnung.
Außerdem würde ich mir wieder mehr positive Schlagzeilen und hoffnungsvolle Nachrichten in der Presse wünschen. Meine Kinder haben sich vor einigen Tagen beschwert, dass in den Nachrichten mittlerweile nur noch über „Corona, Krieg und Vollidioten“ – gemeint sind die Corona-Leugner – berichtet wird. Und sie haben Recht, eigentlich kreisen unsere Gedanken nur noch um diese wenigen, frustrierenden Themen.
2020 war ein gebrauchtes Jahr. Die Hoffnung auf ein bessers 2021 gibt es!
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